Open Data und EU-DSGVO? Klingt erst einmal nach einem Widerspruch. Für Damian Paderta, selbstständiger Digitalberater, Blogger, Open-Data-Enthusiast und Inhaber von Nozilla aus Bonn, schließt sich beides nicht unbedingt aus. Warum rechtliches und technisches Knowhow vor allem für Verwaltungen eine Rolle spielen, erläutert Paderta unter anderem im Interview.
LamaPoll: Sie bezeichnen sich selbst als Webgeograph. „Vermessen“ Sie das Web oder wie sieht Ihr Arbeitstag aus?
Damian Paderta: Es gibt bisher keine passende Berufsbezeichnung für mich. Also habe ich eine erfunden. In meinem Alltag spiegelt sich die komplette Palette eines Digitalberaters wieder: ich entwickle Projekte im Bereich Digitalisierung und Offenheit, baue und designe digitale Produkte, berate Organisationen und vernetze Akteure. Ich bin Diplom-Geograph und beschäftige mich mit einer Bandbreite an Themen im Zusammenhang mit dem Web. Die Erde ist nahezu vollständig erkundet. Das Web schafft eine neue Sicht über das bisher räumlich Bekannte.
Es ist nicht unsichtbar, sondern übt eine starke gestalterische Kraft auf den Raum und die Menschen aus. Und das wird weiter zunehmen. Ich helfe, diese Zusammenhänge festzustellen, die eigene Position in dem Bereich zu verorten und Handlungsräume, technisch wie sozial aufzuzeigen. Da gibt es also durchaus viele Analogien zu klassischen Geographen.
LamaPoll: Wer Ihren Namen bei Google eingibt, stößt auf Wörter wie Open Data, Open Government und Open Knowledge. Was verstehen Sie darunter?
Damian Paderta: Den gegenwärtig fehlenden gesellschaftlichen Utopien und dem scheinbaren Verschwinden großer Ideologien möchte ich Praktiken entgegensetzen, die unser gesellschaftliches Handeln im Sinne einer offenen, demokratischen Gesellschaft fördern.
Ein Staat, der sich für echte Teilhabe gegenüber den Bürgerinnen öffnet und in seinem Handeln nachvollziehbar wird, ist nicht nur innovativer und robuster gegenüber Krisen, sondern schafft auch den nötigen Kitt innerhalb der Gesellschaft. Das ist zwar kein Allheilmittel, aber gegenwärtig sehe ich keine Alternative zu einem „Mehr an Offenheit“.
Die Verwaltung produziert Daten, die ich als Substrat neuer digitaler Dienstleistungen von wirtschaftlichen, aber auch zivilgesellschaftlichen Akteuren betrachte. Open Data steckt voller Versprechungen. Wenn man sich allein auf das technische Endprodukt „Open Data“ konzentriert, gerät der eigentliche wichtigere Aspekt in Vergessenheit: Offenheit beschreibt vielmehr den Prozess als den Zustand. Genau diesen gilt es, zu entwickeln. Das bedeutet, dass ich nicht zufrieden bin, wenn Verwaltungen Open Data bereitstellen, weil ein Gesetz dazu erlassen wurde. Erst wenn die Verwaltungen selbst einen Wert darin sehen und es aus intrinsischen Motiven tun, sind sie tatsächlich einen Schritt weiter.
Mit Open Knowledge verbinde ich den Versuch, die großen Versprechen des Webs in den 90er einzulösen. Die hießen: freier Zugang auf das gesamte Wissen der Welt für jeden und überall. Zugegeben sehr idealistisch. Wenn ich mir das Netz heute aus politischer Perspektive betrachte, sehe ich mehr Negatives als Positives. Das Netz ist in der Tat „kaputt“.
Das kann ich so nicht hinnehmen. Nicht nur, dass der Staat seit Jahren zulässt, dass Unternehmen Bürgerrechte im größtmöglichen Ausmaß missachten, er ist auch selbst Treiber dieser inakzeptablen Praxis. Technik ist nicht neutral und deshalb will ich sie für die Zwecke einsetzen, die ich gesamtgesellschaftlich für richtig halte. Offenheit ist an dieser Stelle eine Haltung.
Die Verwaltung funktioniert nicht nach Augenmaß – dementsprechend wird sich ein flächendeckendes Open-Data-Vorhaben nicht realisieren, wenn man es allein risikobereiten und fachlich kompetenten Open-Data-Enthusiasten überlässt.
LamaPoll: Bei LamaPoll hat der Datenschutz, insbesondere der Schutz personenbezogener Daten, immer oberste Priorität. Wie können Kommunen, die sich in Open Data-Projekten engagieren, dafür sorgen, dass der Datenschutz gewahrt bleibt?
Damian Paderta: Um engagierten Verantwortlichen im öffentlichen Sektor die Offenlegung von Daten zu erleichtern, braucht es eine rechtliche Absicherung ihres Handelns. Sie müssen wissen, was sie ohne zu Zögern veröffentlichen können, was sie einer Abwägung unterziehen und was sie vielleicht an eine andere Stelle zur Überprüfung weiterleiten. Da braucht es rechtliches und technisches Knowhow. Die Verwaltung funktioniert nicht nach Augenmaß – dementsprechend wird sich ein flächendeckendes Open-Data-Vorhaben nicht realisieren, wenn man es allein risikobereiten und fachlich kompetenten Open-Data-Enthusiasten überlässt. Es braucht einen Workflow in der Verwaltung, der die Zugänglichmachung von Daten und Informationen klar regelt und angstbefreit ablaufen lässt. Zudem würde ich aus organisationspsychologischer Sicht Anreize zur Offenheit setzen. Das kann auf vielen Wegen geschehen, wenn der Wille da ist.
Warum schließen sich für Sie „Datenschutz und Open Data“ grundsätzlich nicht aus?
Damian Paderta: Offene Daten können dazu beitragen, Licht in dunkle Machenschaften zu bringen – genauso wie sie auch im Zusammenhang mit anderen sensiblen Daten Datenschutzverletzungen ermöglichen können. Das ist eine kaum zu regulierende Ambivalenz. Es ist schlicht nicht möglich, vorauszusehen, wofür diese oder jene Daten verwendet werden können. Angesichts der jetzigen Open-Data-Landschaft in Deutschland aber eher eine Scheindiskussion. Zunächst einmal geht es um das Gros der Daten, die per Definition nicht personenbezogen sind und maximal unkritisch. Wir fangen quasi an dem unkritischen Ende des Kontinuums an, Daten zu öffnen. Wenn wir dann auf mögliche Probleme stoßen, müssen diese diskutiert werden – wie viel Datenschutz und wie viel Offenheit möchten wir?
Eine andere Frage: Wen möchten wir eigentlich schützen? Das Individuum, Geschäftsmodelle oder Politik in der Grauzone? Ich möchte eine noch radikalere Frage stellen: Warum sollten nicht alle Einkommens- und Besitzverhältnisse aller Bürgerinnen in Deutschland offen gelegt werden? Ein Verzeichnis aller Vermögenden und weniger Vermögenden. Könnten wir auf der Grundlage nicht viel besser die steigende Ungleichheit in Deutschland diskutieren?
LamaPoll: Unternehmen haben nur noch rund ein Jahr Zeit, sich auf die Neuerungen der EU-Datenschutz-Grundverordnung vorzubereiten. Wie beeinflusst die EU-DSGVO Open Data-Projekte und was bedeutet das für Kommunen und Behörden?
Damian Paderta: Ich bin kein Jurist und möchte mich da nicht allzu weit mit einer Prognose aus dem Fenster lehnen. Aus meiner Sicht spielen die Empfehlungen keine weichenstellende Rolle in diesem Zusammenhang. Das Klagen der Wirtschaft und vor allem von Start-ups über die erschwerten Bedingungen bei der Verarbeitung von (Kunden)-Daten kann ich nicht verstehen.
Wenn das Geschäftsmodell auf der Verletzung von fundamentalem Datenschutz beruht, dann hat es aus meiner Sicht keine Existenzberechtigung. Ich sehe die Bestrebungen nach höheren Datenschutzstandards als Riesenchance für junge Unternehmen aus Deutschland. Ich denke, es wird noch einige Jahre dauern, bis wir erkennen, dass wir mit der schon fast überkritischen Haltung zu digitalen Neuerungen eigentlich ein Feature besitzen, was den Unterschied macht. Wenn z.B. Lama Poll Dienste nach deutschen Datenschutzstandards anbietet, dann ist das ein Mehrwert den US-amerikanische Dienste vorerst nicht anbieten können oder wollen. Wer diesen Weg geht wird nicht automatisch erfolgreicher – setzt sich aber automatisch positiv von gängigen US-Diensten ab. Darum geht es letztendlich. Ich wünschte, es gäbe mehr solcher Alternativen auf dem Markt. Privacy by design heißt das Zauberwort.
Eine klarere Gesetzgebung in Sachen Datenschutz ist leicht zu fordern, aber unerlässlich, will man diejenigen, die verantwortungsvoll mit personenbezogenen Daten umgehen, gegenüber der Mehrheit der großen Unternehmen nicht benachteiligen. In gewisser Weise operieren die Meisten, die mit Daten arbeiten, ab einem gewissen Punkt in einer rechtlich unsicheren Zone. Es liegt auf der Hand, dass es diese Unsicherheit für Kommunen und Behörden nicht einfacher macht, Open Data umzusetzen.
LamaPoll: Informationen und Daten bestimmen Ihren Alltag. Auf welche drei datensicheren Tools können und wollen Sie nicht verzichten?
Damian Paderta: Ich wüsste nicht, wie ich ohne KeePass, OpenPGP und ZenMate auskommen würde.
Vielen Dank für Ihre Antworten!